Unsere Nächsten
Sie sind täglich um uns herum und die Gewohnheit hat uns erblinden lassen. Wir sehen ihre Gesichter nicht mehr und gehen an ihnen vorbei ohne Regung. Es passiert wohl allen.
Früher war das Sitzen auf der Bank mit dem Geliebten so aufregend und erfüllend! Ich versuchte in seinen Augen die Tiefen seines Herzens wahrzunehmen und das Glück sprudelte nur so. Früher blickte ich meinem kleinen Kind ins Gesicht und da regnete die ganze Herrlichkeit des Himmels auf mich herunter - überwältigend!
Heute muss ich mich entscheiden, mit meinem Geliebten auf die Bank zu sitzen und den Vögeln zu lauschen. Heute achte ich darauf, dass ich jedem Kind täglich einmal richtig in die Augen schaue, vielleicht sogar mit Umarmung. Heute passiert es nicht mehr einfach, es braucht Initiative. Aber noch heute, wenn ich die Hand auf den Arm meines Geliebten lege, fühle ich die Wärme, die Schönheit des Vertrauten, das Glück - es ist der alte Wein, der nicht mehr sprudelt aber noch herrlicher ist.
Vielleicht verlieren wir die Liebe auf dem Weg, weil wir ihr keine Zeit geben, weil wir Wichtigeres zu tun haben und wie Unmündige erwarten, dass jemand anders kommt und sie uns auf dem Tablett serviert. Noch heute kannst du die Schulter deines Nächsten berühren und freundlich in seine Augen blicken - vielleicht braucht es auch zuerst einen Türöffner, einer Entschuldigung für das jahrelange Versäumnis. Vielleicht kommt dir dann noch ein Gedanke und es geht weiter... Die Bank wartet schon und jeder Sonnenuntergang ist eine Einladung an uns!